Holzanatomie

Auf der Erde leben mehr als drei Billionen Bäume (Crowther et al. 2015), die während ihres Wachstums kontinuierlich Umweltinformation in ihrer Zellstruktur, Jahrringbreite und -dichte, oder in der chemischen Zusammensetzung des Holzes speichern. Aufgrund ihrer langen Lebensspannen von Dekaden bis Jahrtausenden sind Bäume damit globale „Umweltinformationssysteme“ in Raum und Zeit. Informationen aus Jahrringen helfen uns zum Verständnis und zur Abschätzung von Kohlenstoff- und Verdunstungsdynamik von Waldökosystemen (Babst et al. 2014, Frank et al. 2015), von Mortalitätswellen (Park Williams et al. 2013), Klimavariationen der letzten tausenden Jahre (Masson-Delmotte et al. 2013) oder von zu erwartenden Reaktionen von Baumarten und Wäldern auf die Herausforderungen des globalen Wandels (Charney et al. 2016). Wichtigster Parameter war bisher, aufgrund der relativ einfachen Erhebung, die klassische Jahrringbreite, die alle Wachstumsprozesse des Stammes in einem integrativen Wert pro Jahr zusammenfasst.

Zur Abschätzung der Reaktion von Bäumen und Baumarten auf immer häufigere Extremereignisse wie Dürre oder Spätfrost (Diffenbaugh et al. 2017), auf Insektenkalamitäten oder zum grundlegenden Verständnis der saisonalen Dynamik in einer klimaveränderten Welt, ist die Jahrringbreite allerdings nur bedingt geeignet. Hier benötigen wir Parameter, die in einer höheren als annuellen zeitlichen Auflösung vorliegen und möglicherweise auch besser mit den physiologischen Prozessen der Bäume gekoppelt sind. Holzanatomische Untersuchungen innerhalb der Jahresringe, also die hochaufgelöste Analyse von kontinuierlich wachsenden Holzzellen, versprechen hier Abhilfe in mehrfacher Hinsicht. Einmal weil die höhere zeitliche Auflösung eine bessere Zuordnung von „Stressor“ und „Stresssignal“ ermöglicht (beispielsweise einer kurzzeitigen Überstauung und folgender Wuchseinbruch der Bäume). Zum anderen sind holzanatomische Parameter wie Gefäßgrößen besser mit den physiologischen Prozessen der Bäume verknüpft (beispielsweise Lumendurchmesser und Trockenstress) als der kumulative Parameter Jahrringbreite.

Dadurch sind holzanatomische Kennwerte oft klima-sensitiver als Jahrringbreiten. Weiterhin enthalten die unterschiedlichen Parameter innerhalb eines Jahrrings (z. B. Zelllumen, Zelldurchmesser, Zellwanddicke, Gefäßgröße, Gefäßdichte, etc.) zusätzliche Informationen, da sie oft auf andere Klima- oder Umweltsignale reagieren als der klassische Jahrring (Fonti et al. 2010). Grundlegende Methoden sind dabei das Anfertigen von Dünnschnitten aus Baumbohrkernen zur retrospektiven Betrachtung oder die regelmäßige Gewinnung von Kurzkerne zur Überwachung des Wachstums. Präparierte Kerne werden dann unter mikroskopischer Vergrößerung fotografiert (klassisch oder über konfokale Lasermikroskopie) und digitalisiert. Diese digitalen Daten müssen anschließend visuell ausgewertet werden. Dazu gibt es verschiedene Softwarelösungen wie z. B. WinCell, ROXAS oder ImageJ, die alle benutzerdefinierte, semiautomatische (also komplett menschlich überwachte) Analysemethoden anbieten vgl. (von Arx et al. 2016, von Arx and Carrer 2014).

Theoretisch sind damit die methodischen Grundlagen zur Analyse von Holzanatomie etabliert. Allerdings sind alle Methoden zeitlich noch extrem aufwendig, benötigen Dünnschnitte von höchster Qualität und sind nur für wenige Baumarten, hauptsächlich Nadelbaumarten, einigermaßen ausgereift. Eine automatisierte Auswertung der gewonnen Scans oder Bilder ist noch nicht möglich. Daraus resultiert ein gewaltiger Mangel, einerseits an langen holzanatomischen Chronologien und andererseits an holzanatomischen Untersuchungen verschiedenster, auch invasiver, Baumarten an unterschiedlichsten Standorten.

Eine raum-zeitliche Abdeckung der Wachstumsvariabilität und Reaktion von Bäumen, Wäldern und Waldökosystemen auf Extremereignisse ist daher noch nicht gegeben.

Picea glauca (Weiß-Fichte)
Bildbearbeitung mit der Software ROXAS

Hier setzt DIG-IT!  an. Eine automatisierte Erfassung von holzanatomischen Parametern wie Lumendurchmesser, Gefäßgrößen, Zellwanddicken oder Markstrahlen der wichtigsten Baumarten in Mecklenburg-Vorpommern mit Hilfe von DCNNs erscheint möglich (Garcia-Pedrero 2018) und verspricht neue Einsichten in

  1. die Resistenz und Resilienz von heimischen und nicht-heimischen Baumarten gegenüber klimatischen Extremereignissen,
  2. die Stabilität von Waldökosystemen gegenüber Managementänderungen, und
  3. die regionale Klimavariabilität der letzten Jahrhunderte bis Millennia.

Das weltweit wachsende Wissenschaftsfeld der quantitativen Holzanatomie würde durch die große Zeitersparnis einer automatisierten Bildanalyse einen enormen Entwicklungsschub erfahren.


 

Das Verbundprojekt „DIG-IT!” wird durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern gefördert.