Stand der Forschung

Die “Digitale Revolution” berührt und verändert alle Aspekte unseres Lebens in rasender Geschwindigkeit. Das Jahr 2002, als es der Menschheit zum ersten Mal möglich war, mehr Daten digital als analog zu speichern, kann quasi als das Geburtsjahr des “Digitalen Zeitalters” betrachtet werden (Hilbert & López 2011). Auch in der Wissenschaft hat die fortschreitende Digitalisierung den Alltag revolutioniert. Ohne Digitalisierung wären die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die Entwicklung komplexer Klimamodelle oder diagnostischen Modelle der Krankheitsbekämpfung nicht möglich gewesen (Drenth 2001).

Angesichts globaler Probleme wie Biodiversitätsverlust, Klima- und Landnutzungswandel sind größere Menge weltweit verfügbarer, zeitlich und räumlich hoch aufgelöster und statistisch präzise abgesicherter Daten notwendig. DIG-IT!  stellt sich dieser Herausforderung in den ökologischen Wissenschaften. Insbesondere die Entwicklung, Leistung und Stabilität von Ökosystemen und ihre Reaktion auf Änderungen in Klima und Landnutzung sind Fragen mit hoher gesellschaftspolitischer Relevanz (Bonan & Doney 2018). Zur Beantwortung sind Modellentwicklungen nötig, die mit ökologischen Daten kalibriert und verifiziert werden müssen. Während die Erhebung ökologischer Grundlagendaten immer einfacher wird und auch von und mit Laien in “citizen science Projekten” praktiziert werden kann (z.B. digitale Fotos von Blütenphänologie), stellt die Auswertung von visuellen Daten immer noch eine immense Herausforderung dar. Das Problem ist also nicht die Menge an verfügbaren Primärdaten, sondern die notwendige Zeit der Auswertung durch Fachleute.

Automatisierte Bilderfassung und –erkennung (machine learning technique) verspricht einen “fachspezifischen Quantensprung” zur Deckung des Bedarfs an mehr, höher aufgelösten und präziseren ökologischen Grundlagendaten. Die Leistungsfähigkeit moderner Bildverarbeitungsmethoden zur Erkennung und Unterscheidung von Objekten in Bild- und Videoaufnahmen wird innerhalb der weltweiten Computer Vision Gemeinschaft seit 2010 jährlich in einem Wettbewerb ermittelt (ILSVRC). Im Jahr 2012 wurde dieser erstmals durch ein Verfahren gewonnen, das auf künstlichen tiefen faltenden neuronalen Netzwerken (Deep Convolutional Neural Networks, DCNN) basiert (AlexNet), (Krizhevsky et al. 2012). Im Vergleich zu normalen neuronalen Netzwerken weisen DCNN wesentlich mehr Schichten auf, wobei die Struktur der Netzwerke dem menschlichen Sehen ähnelt. Bereits im Jahr 2013 waren ausschließlich DCNN-basierte Ansätze vertreten, und bis heute wurden diese Ergebnisse durch Weiterentwicklungen der neuronalen Netzwerke erheblich verbessert.

Der grundlegende Unterschied zwischen den klassischen und modernen Verfahren besteht im selbstständigen Lernen der Netzwerke. Wurden vormals die zur Objekterkennung und -unterscheidung nötigen Merkmale händisch durch Experten definiert, so entstehen diese nun automatisch als Ergebnis eines fortwährenden Optimierungsprozesses. Die Erforschung und Lösung ökologischer Fragestellungen kann massiv von dieser Automatisierung profitieren. Bereits jetzt können wohldefinierte Objekterkennungsaufgaben mit vergleichsweise wenig durch Menschen bereitgestellter Information um mehrere Größenordnungen beschleunigt werden, bei gleicher oder sogar besserer Genauigkeit. Die immense Ersparnis von Zeit und Konzentrationsfähigkeit ermöglicht einerseits die raschere Bearbeitung von aktuellen Themen der ökologischen Forschung, und andererseits den erstmaligen Zugang zu vormals sehr schwierigen Fragestellungen, wie z.B. der Individuenerkennung bei Tieren.

Unser DIG-IT! Konsortium greift diese komplexen Herausforderung integrativ auf: Durch die Koppelung von Mathematik, Informatik und den anwendenden ökologischen Wissenschaften. Dadurch interagieren Entwicklung und Anwendung in einem klar umrissenen Gebiet. Ziel ist es, die Chancen der Digitalisierung in diesem Wissenschaftsbereich zu nutzen.


 

Das Verbundprojekt „DIG-IT!” wird durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern gefördert.